Berlin: Das erste halbe Jahr (Musik, Kunst, Kultur)

Was mich an Berlin so fasziniert, ist das unglaubliche Angebot an Kunst und Kultur.

Musik


Als Geschenk an mich selbst zum neuen Job war ich beim „Placebo“-Konzert in der O2-World. Ich hatte eine Innenraumkarte war rechtzeitig da, und hatte so einen Platz etwa 10 Meter von der Bühne entfernt. Das Konzert war schön, der Sound toll und die Setlist ganz nach meinem Geschmack. Völlig begeistert war trotzdem nicht. Irgendwie wirkte das Konzert etwas runtergespielt. Es fehlte der schwer zu beschreibende magische Moment, der den Unterschied zwischen einem guten und einem großartigen Konzert ausmacht.

Einen Abend vorher war ich mit Anja bei Plan-B im SO-36. Die Eintrittskarten hatte ich auf Johnny Häuslers Blog gewonnen. Das SO-36, hatte in den 80ern für mich einen legendären Ruf. Da ich in dieser Zeit nie in Berlin gewesen bin und es sich danach noch nicht ergeben hat, war dies tatsächlich mein erster Besuch in dem Laden. Er war viel weniger angeranzt als ich erwartet hatte. Das Publikum war wohl so eine Art Klassentreffen. Es waren viele End-Vierziger da, denen man ansah, dass sie tagsüber gute Jobs haben. Es gab nur einen gewissen Hang zu schwarzen Klamotten, aber eben nicht im Punk/Wave-Style sondern Bürokompatibel. Die Klassiker von Plan-B und einige Punk-Cover wurden dann von allen mitgesungen.





Ich habe mich sauwohl gefühlt und die beruhigende Erkenntnis gewonnen, dass ich mit meiner Entwicklung nicht alleine bin. Am Ende haben Anja und ich uns ein Band-Shirt gekauft und festgestellt, dass es mitten in Kreuzberg gar nicht so leicht ist am späten Abend einen Döner zu bekommen. Insgesamt ein toller Abend. Vielen Dank nochmal an Johnny für das schöne Geschenk.

Ansonsten war ich noch bei wenigen anderen Konzerten, die mir aber nicht so in Erinnerung geblieben sind. Hier möchte ich noch nachlegen. Das Problem ist, dass die meisten Konzerte in kleineren Läden auch über die Woche nicht vor 10 Uhr beginnen. Dann bin ich erst mitten in der Nacht zu Hause und muss trotzdem um 6 Uhr aufstehen. Deshalb werde ich mir diesen Luxus wohl auch künftig nur begrenzt leisten können.



Theater


Ich war in einigen kleineren Theateraufführungen, beispielsweise zu Willy Brandts hundertstem Geburtstag, die ordentlich aber nicht herausragend waren.

Die Highlights waren dann Aufführungen an den großen Bühnen.
Ich habe mir „Hyperion. Briefe eines Terroristen“ an der Schaubühne angesehen. Das erste Bühnenbild war eine große Wohnung. Diese wurde nach einigen Minuten von einem Polizeieinsatzkommando gestürmt und amtlich zerlegt. Dann sind die „Polizisten“ von der Bühne gesprungen und haben den Zuschauerraum geräumt. Der nicht vorgewarnte Teil des Publikums stand dann etwas unschlüssig vor dem Saal. Nach etwa 15 Minuten hatte sich die Bühne in einen weiß abgehangenen Raum verwandelt. Auf der Bühne war ein Hund. Dazu wurden Worte auf Leinwände projiziert. Dann war der Hund weg und mehrere Frauen unterschiedlichen Alters und unterschiedlich vollständig bekleidet trugen Texte von Hölderlin vor. Diese Texte waren in doppelter Hinsicht schwer verständlich. Dazu passierte noch Verschiedenes auf der Bühne und irgendwann war es vorbei. Ich fühlte mich gleichermaßen ratlos wie gut unterhalten. Im Übrigen: „Hölderlin ist für mich kein Dichter.“ „Sondern?“ „Goethe!“

Vor kurzem hatte ich das Vergnügen mir meine erste Castorf Inszenierung an der Volksbühne anzusehen: „La Cousine Bette“ nach Balzak. Die Vorstellung begann mit Verspätung, da ein Schauspieler noch im Flugzeug festsaß. Das habe ich so auch noch nicht erlebt. Die Inszenierung spielte überwiegend in einem Haus, das auf der Bühne aufgebaut war. Die Aufführung wurde von zwei Kamerateams auf verschiedene Projektionsflächen übertragen. Dazu spielt immer wieder verschiedenste Musik. Das Ganze dauerte fünf Stunden und erforderte einiges an Sitzfleisch. Dafür wurde ich mit einer schauspielerischen Intensität belohnt, die außergewöhnlich war. Ich kann mich nicht erinnern, so etwas schon einmal erlebt zu haben, insbesondere, da insgesamt nur 10 Schauspieler beteiligt waren. Es war außergewöhnliche Leistung, die mich über einige Längen hinweg gebracht hat.
Ich habe mir vorgenommen, weiter regelmäßig ins Theater zu gehen. Es sind noch einige große Bühnen zu besuchen und auch kleineren Inszenierungen werde ich noch Chancen einräumen. Da ich in den letzten Jahren kaum im Theater war, bin ich mit meiner Ausbeute ganz zufrieden.

Kino

Ich war zwei Mal bei den live begleiteten Stummfilmaufführungen im Froschkönig. Mein Highlight war ein Laurel & Hardy Film in dem sie versuchen eine Ziege zu waschen. Ich bin vor Lachen beinahe vom Stuhl gefallen.

Ansonsten sieht es recht mau aus. Ein Hintergrund ist, dass ich im Moment nicht so genau weiß, was ich mag. Ich kann mit Popkornkino recht wenig anfangen, habe mich bei anspruchsvolleren Produktionen in den letzten Jahren aber öfter gelangweilt. Hier muss ich demnach erstmal wieder herausfinden, was ich suche, bevor ich es finden kann.

Museum

Meine größte Leerstelle ist „Museum“. Während ich bei meinen Besuchen im letzten Jahr häufig einen Museumsbesuch eingeplant hatte, war ich im letzten halben Jahr in keinem größeren Museum mehr. Hier wirkt das Paradoxon des leichten Zugangs: Museumsbesuche erfordern keine Planung und werden deshalb von mir mit leichtem Herzen verschoben. Diese Abstinenz muss ich dringend überwinden. So steht die Ai Weiwei-Ausstellung oben auf meiner Liste. Auch die ethnographische Sammlung in Dahlem muss ich bald wieder besuchen.

Ich habe auch wieder viel gelesen. Das gehört in einen eigenen Eintrag.

Insgesamt bin ich ganz zufrieden mit diesem Bereich. Zudem war die Zeit der Einarbeitung recht anstrengend und hat mir wenig Energie übrig gelassen. Da geht also noch was. Berlin als Kulturhauptstadt ist für mich immer noch faszinierend. Ich bin sicher, dass es noch viel zu entdecken gibt.

Berlin: Das erste halbe Jahr (Überblick)

Ostkreuz_Baustelle

Mit dem offiziellen Ende meiner Probezeit ist mir klar geworden, dass ich inzwischen ein halbes Jahr komplett in Berlin lebe.

Das ist für mich ein Grund mal einen Überblick zu geben und mir selbst über die Entwicklung Rechenschaft zu geben. Ich habe vor, in den nächsten Tagen noch zu einzelnen Bereichen mehr zu schreiben.

Zuerst einmal finde ich Berlin weiterhin eine tolle Stadt. Ich lebe gerne hier und genieße es täglich über den Alexanderplatz zu blicken. In der U-Bahn sind Verrückte und das finde ich meistens lustig.

 

Ich habe noch nie eine gute „Echte Berliner Currywurst“ gegessen und habe nicht vor, das noch öfter zu probieren. Dafür habe ich schon leckere Ketwurst (wg. Ketchup) oder Kettwurst (da als Kette hergestellt) gegessen. Das ist zwar auch keine kulinarische Offenbarung, aber echte DDR-Romantik. Am Prenzelberg gibt es sie neben Bio-Fritten, am Ostkreuz neben Nazis.

Zur Arbeit hier nur so viel: Ich bin in einem netten Team und fühle mich wohl. Die Arbeit macht mir Spaß und das könnte für mich zum Problem werden. Dazu bald mehr.

Ich bin netten Leuten begegnet und beginne erste Freundschaften zu schließen. Das fühlt sich gut an.

Ich war einige Male im Theater, auf ein paar Konzerten, selten im Kino und viel zu wenig in Museen. Eigentlich hatte ich mir mehr vorgenommen, war aber oft zu müde etwas zu unternehmen. Und die Berliner Anfangszeiten bei Konzerten vertragen sich über die Woche nicht mit der Tatsache, dass ich vor 6 aufstehe.

Ich habe wieder mit dem Laufen angefangen und daran meistens Spaß. Die ganz große Begeisterung ist aber noch nicht aufgekommen.

Jetzt soll mal der Sommer kommen. Auch wenn dieser Winter nicht besonders hart war, freue ich mich darauf, wieder mehr draußen zu sein und auf die Sommer-Events. Bei -15 Grad und Ostwind morgens um halb sieben auf dem offenen Bahnsteig zu stehen, war nicht schön.

Ich war einmal in Krefeld, das mir gleichzeitig vertraut und fremd vorgekommen ist. Es war gut etwas Karneval mitzubekommen. Das habe ich mir als Tradition vorgenommen.

Das Haus in Uerdingen ist immer noch nicht verkauft, der Makler genervt und wir ausgebremst was die Neuorientierung angeht. Gleichzeitig steigen die Preise in Berlin weiter. So leben wir in einem Provisorium, das eine gewisse Dauerhaftigkeit bekommt.

Ich bin reichlich urlaubsreif und freue mich schon auf die zwei freien Wochen im Mai.

Wir haben hier eine Stammkneipe, bei der ich ohne lange Nachfrage mein Kaltgetränk geliefert bekomme. Auch das ist ein Stück Heimat.

Wir machen in unserer netten Abteilung etwas Politik und ich kann meinen Hang zur Netzpolitik ausleben. Auch das ist gut.

Also ein erstes vorsichtiges Fazit: Vieles entwickelt sich, das meiste zum Guten und die grundsätzliche Entscheidung bedauere ich keinesfalls.

Das Leben bleibt eine Baustelle, die Umrisse des Gebäudes sind zu erkennen und es kann ein tolles Haus werden. Bis dahin bleibt noch einiges zu tun.

In den nächsten Tagen mehr.