Was bliebe von Ai Weiweis Kunst, wenn er nicht politisch verfolgt würde?

Ein Ausflug in die Kunstkritik


 

Die Ai Weiwei Ausstellung „Evidence“  wurde ja im gesamten Feuilleton rauf und runter besprochen. Deshalb habe war ich neugierig, sie mir auch anzusehen. Es ist einer der Vorteile in einer Metropole zu leben, dass solche Veranstaltungen direkt vor der Tür stattfinden, auch wenn Düsseldorf da auch so dass ein oder andere zu bieten hatte.

Ich habe das Wirken von Ai Weiwei in den letzten Jahren verfolgt und wollte die Gelegenheit, mir seine Werke anzusehen, nicht entgehen lassen. Die Vorberichterstattung, nach dem es ihm weder möglich war die Ausstellung vor Ort zu konzipieren, noch sie zu eröffnen, hat mich zusätzlich neugierig gemacht.

Ich muss zugeben, mich mit Kunsttheorie und den aktuellen Trends in der darstellenden Kunst nur ganz am Rande beschäftigt zu haben. Mein Zugang zu moderner Kunst funktioniert also überwiegend über den ästhetischen Eindruck. Dabei bin ich konzeptioneller Kunst durchaus zugetan. So bin ich mit einer Mischung aus Erwartung, Neugier und zugegeben einer gewissen Skepsis auf die Ausstellung zugegangen.

Da meine Schwester zu Besuch ist und auch Lust auf die Ausstellung hatte, haben wir uns bei schlechtem Wetter in die Schlange vor dem Martin-Gropius-Bau gestellt. Wir mussten etwa 1/2 Stunde warten. Ich weiß nicht, wie voll es an Tagen ist, die keine Brückentage mit schlechtem Wetter sind. Die Berichte, dass die Publikumsresonanz niedriger als erwartet ist, kann ich jedenfalls nicht bestätigen.


 

Hocker (Stools)

Direkt von der Kassenhalle kommt man in die glasgedeckte Haupthalle des Museums. Dort wird man von 6000  Hockern empfangen, die im tiefer gelegenen Teil arrangiert sind. Die Hocker weisen alle Gebrauchsspuren auf, sind alle ähnlich und doch jeder ein Unikat. Der ästhetische Eindruck ist großartig und kann von meinem Handyfoto nicht wirklich eingefangen werden.

Die Beschreibung war von einer Besuchergruppe umlagert und so haben wir sie zunächst ignoriert. Ich war vom Auftakt so angetan, dass meine Skepsis zunächst verschwand. Von der Haupthalle ging es dann weiter in die kleineren Ausstellungsräume.

 

Chairs

 


 

Inseln aus Marmor, Vasen, Tierkreiszeichen und Marmortüren

Im ersten Raum waren stilisierte marmorne Modelle einer Inselgruppe zu sehen, um die sich China und Japan streiten. Das Kunstwerk soll für den Konflikt sensibilisieren. Ich wurde dadurch nur wenig sensibilisiert und bin recht bald in den Nachbarraum gegangen. Dort standen Han-Dynastie-Vasen, die mit Autolack bekannter Konzerne überzogen waren, um den Einfluss der ausländischen Wirtschaft auf die chinesische Kultur zu thematisieren.

Die faktische Zerstörung von historischen Gegenständen, um daraus neue Kunst zu schaffen, wirft für mich Fragen auf: Wie ist diese kreative Zerstörung zu bewerten? Darf der das tun? Ich habe darauf keine eindeutige Antwort. Auch wenn das ästhetische Erlebnis nur so mittel war, hat dieses Kunstwerk für mich „funktioniert“. Ich möchte meine nächste Han-Vase aber dann doch lieber nicht in silbergrau-metallic.

Nun folgten die Tierkreiszeichen (circle of animals), die mir aus dem Werk Ai Weiweis schon bekannt waren. Es handelt sich um Nachbildungen (oder Neuinterpretationen) von Skulpturen aus einem Pekinger Palastgarten. Die wechselvolle Geschichte der Originale wird ausführlich dargestellt und das Gesamtbild beeindruckt. Es handelt sich dabei aber im wesentlichen um Kopien, die bei mich an der Eigenständigkeit als Kunstwerk zweifeln ließen.

 

Hund

 

Im nächsten Raum waren antike Türen in Marmor nachgebildet um auf die Zerstörung von Kulturgütern hinzuweisen. So langsam erkennt man ein Muster: Objekte stehen nicht für sich, sondern dienen nur als Symbole für ein Unrecht, auf das sie hinweisen. Ist etwas wichtig, ist es aus Marmor. Ai Weiwei liebt Marmor. Bei mir machen sich erste Zweifel breit, ob das Konzept für mich stark genug ist.


 

Baustahl in Marmor und ganz viel Verfolgung Ai Weiweis

Als nächstes haben wir uns die künstlerische Aufarbeitung des Einsatzes für die Opfer eines Erdbebens angesehen. Beim Einsturz von Gebäuden sind offenbar viele Menschen, insbesondere Schulkinder, gestorben, da die Baustandards nicht eingehalten wurden. Wir wurden darüber informiert, dass die Behörden die Aufklärung massiv behindert hätten und es liegt der Gedanke nahe, das Korruption im Spiel war. Die ästhetische Qualität konnte da meiner Meinung nach nicht mithalten:

Verbogener Baustahl in Marmor (sic!) nachgebildet, naja.

Möbelähnliche Gebilde aus verbogenem Baustahl, unbefriedigend.

Verbogener Baustahl in einem Raum drapiert, während man informiert wird, dass die Gehilfen von Ai Weiwei massenweise verbogenen Stahl gerade gebogen hätten, unverständlich und irgendwie retro.

Dann kommt die Abteilung Ai Weiwei in der Selbstbespiegelung: Reste seines zerstörten Ateliers werden als Schrein drapiert. Er bildet Kleiderbügel nach, die er im Gefängnis hatte, um darauf hinzuweisen, dass er keine anderen Kleiderbügel hatte oder so ähnlich. Es gibt Handschellen aus Jade (aus unverständlichen Gründen diesmal kein Marmor), da er ja auch Handschellen tragen musste und noch vieles andere. Die Wände sind mit Schuldscheinen tapeziert, die er ausgegeben hat, als er sehr kurzfristig eine Steuerstrafe bezahlen musste, deren Berechtigung er bestreitet.

Alle Objekten stahlen aus: Ich bin ein Märtyrer, der viel Ungerechtigkeit ertragen muss. Ästhetisch halten sie allerdings nicht stand.

Der Höhepunkt dieser Abteilung ist der Nachbau einer Zelle, in der Ai Weiwei 81 Tage gefangen gehalten wurde. Da man sich dafür nochmal lange anstellen musste, habe ich sie nur von außen gesehen.

Dort lief auch ein von Weiwei konzipiertes und selbst gespieltes Video, in dem er seine Erfahrungen reflektiert. Es mischen sich Realität und Tagträume während der Isolationshaft. Die traumatischen Erfahrungen werden durch die Bildsprache deutlich. Das ist wieder stärker.

 


 

Lange Filme, pubertäre Fotos und Readymades

Zum Abschluss unseres Rundgangs konnte man sich Filme ansehen, die Zustände in Peking dokumentieren. So hat Ai Weiwei alle Straßen in einem vom Umbruch betroffenen Viertel Pekings abgefahren, dabei gefilmt und das Ergebnis zu einem 150 Stunden langen Film zusammen geschnitten. Ich habe ihn mir nicht ganz angesehen. Als Dokumentationsprojekt hat es möglicherweise seinen Wert, hat aber keine eigene ästhetische Sprache.

Nach einigen ähnlichen Projekten kam man in einen Raum, in dem 40 Bilder des ausgestreckten Mittelfingers des Künstlers vor meist bekannter Kulisse zu bestaunen waren. Mir war danach, diesen Teil der Ausstellung durch ein gleich gestaltetes Foto zu dokumentieren, habe den spätpubertären Gedanken dann aber verworfen.

Schließlich waren noch einige frühe Arbeiten ausgestellt, die teilweise das Konzept der Ready-mades aufnahmen. Auch in der Frühphase zeigt sich also ein Hang zum Nachbilden.


 

Noch mal Stools

Nach dem Rundgang sind wir wieder in die große Halle zurückgekehrt. Da wir inzwischen eine Vorstellung von der Konzeption der Erklärungstafeln hatten, haben wir überlegt, welches Unrecht oder welche Bedrängnis des Künstlers die Hocker darstellen sollen. Das Schild verrät, dass die Hocker teilweise mehrere hundert Jahre alt sind.

Es sind aber nur Hocker. Und sie bilden ein großartiges Kunstwerk.


 

Kritik auf hohem Niveau

Ich war am Ende enttäuscht. Ai Weiwei wird im Feuilleton als einer der größten lebenden Künstlern und als möglicherweise wichtigster chinesischer Kunstbotschafter dargestellt. Diesem Anspruch genügt er für mich am Ende nicht. Insgesamt sind die ästhetischen Mittel begrenzt, es fehlt die Eigenständigkeit, die einen großen Künstler unverwechselbar und wiedererkennbar machen. Er nimmt mehr von anderen Künstlern auf, als dass er selbst gibt.

Ai Weiwei ist ein politischer Aktivist. Die Repressionen, denen er in China  ausgesetzt wird, sind bedrückend. Große Teile der Ausstellung sind eine Reflexion der Unterdrückung des Künstlers und sind alleine weder zu verstehen, noch ästhetisch befriedigend. Die Unterdrückung bildet so die Funktionsvoraussetzung für die Kunst. Im Umkehrschluss heißt das, dass die Kunst ohne die Unterdrückung nicht funktionieren würde. Damit wäre Ai Weiwei auf die Unterdrückung angewiesen um Kunst schaffen zu können. Ein verstörender Gedanke.

Vielleicht wäre er ohne Unterdrückung aber auch in der Lage mehr großartige Kunstwerke wie „stools“ zu schaffen.

 
 Ai Weiwei – Evidence
 3. April bis 7. Juli 2014
 Öffnungszeiten
 MI bis MO 10:00–19:00
 DI geschlossen
 Ab 20. Mai: Täglich 10:00–20:00
 Martin-Gropius-Bau
 Niederkirchnerstraße 7
 10963 Berlin

 

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