Ein Kästner-Fan outet sich
Ich bin schon seit der Kindheit ein großer Freund von Erich Kästner gewesen. Nach den Kinderbüchern habe ich dann die humoristischen Romane und die Lyrik kennen und lieben gelernt. Der Nachteil daran, einen toten Schriftsteller mit mittelgroßem Werk zu mögen ist, dass man recht schnell den größten Teil kennt. Es gibt, wie ich jetzt gelernt habe, noch viele kürzere Texte (oft unter Pseudonym veröffentlicht), die ich nicht gelesen habe. Die Hauptwerke habe ich aber alle vor mehr als zwanzig Jahren in einem Rutsch verschlungen. Damit bleibt mir das Vergnügen einen Roman von Kästner das erste Mal zu lesen wohl für immer verwehrt.
Ich habe den Fabian immer für den besten Roman von Kästner für Erwachsene gehalten. Deshalb habe ich meine Zurückhaltung, Bücher erneut zu lesen überwunden und wurde belohnt.
Die Geschichte eins zeitgeschichtlichen Romans
Das Buch wurde 1930/31, also in der Zeit der Weltwirtschaftskrise geschrieben und spielt überwiegend im Berlin der damaligen Zeit. Es war die produktivste Zeit in Kästners Leben und die Zeit in der er seinen Ruf als Chronist der Weimarer Republik erworben hat. Es war ein großer Publikumserfolg, auch (oder vielleicht auch weil) es von konservativer Seite und den aufkommenden Nazis bekämpft wurde. Dieses Buch war, neben seiner kritischen Lyrik, der Grund, wieso Kästner in der Nazizeit geächtet und seine Bücher verbrannt wurden. Er war der einzige Autor, der auf dem Opernplatz bei der zentralen Veranstaltung anwesend war und auch erkannt wurde.
Der Fabian wurde 1931 in einer überarbeiteten Fassung veröffentlicht, da der Verlag der Meinung war ein Kapitel den Lesern nicht zumuten zu können. Darüber hinaus wurden viele kleinere Streichungen vorgenommen. Um die Lücke zu füllen wurde eine komplette Szene neu geschrieben. Alle folgenden Auflagen haben sich an dieser veränderten Version orientiert, auch wenn das weggelassene Kapitel einzeln veröffentlicht wurde. Vor einiger Zeit hat der Kästner-Kenner Sven Hanunschek die Aufgabe vollendet, eine Neuausgabe herauszugeben, die dem Original entsprechen soll. Dazu wurde das erhaltene Originaltyposkript aus dem Literaturarchiv Marbach herangezogen. Die editorische Arbeit wird im Anhang ausführlich dokumentiert.
Die Neuausgabe erhielt den Titel „Der Gang vor die Hunde“.
Ein zeitgenössischer Roman von erstaunlicher Frische
Kästner war als Autor in dieser Zeit in Bestform. Der Roman wirkt von der Form und den verwendeten Mitteln her sehr modern. Das was heute modern wirkt, wurde ihm vor 80 Jahren angekreidet: Das Buch hat keinen durchgehenden Handlungsbogen sondern ist eine Kollage von Szenen, die der Protagonist Fabian, ein Dr. der Germanistik, erlebt. Die Geschichte führt in Untergrundkneipen, Bordelle, in die Nähe von Straßenschlachten und in diverse Betten.
Die, aus heutiger Sicht harmlose, Schilderung erotischer Erlebnisse hat viel zur Verfolgung durch die Nazis beigetragen, da Kästner der Vorwurf der Pornographie gemacht wurde. Mich hat die Schilderung einer Gesellschaft in Niedergang erneut mitgerissen. Ich spare mir eine Inhaltsskizze, da ich Euch zum Lesen animieren möchte. Fabian taumelt ohne Ziel durch die Zeit und ist dabei ein scharfer, zunehmend verbitterter werdender Beobachter.
Die einzige Stilkritik, die ich äußern möchte ist, dass alle Menschen denen er begegnet den selben lakonischen Ton haben. Ich liebe diesen Ton, aber er passt nicht zu allen Zufallsbekanntschaften. Ansonsten ist es diese spezielle Mischung aus lakonischen, manchmal auch zynischen Äußerungen gepaart mit einer tiefen Menschenfreundlichkeit und der Verzweiflung an den Verhältnissen, die Kästner hier zur Perfektion bringt.
Der Fabian und mein Berlin: „Lernt schwimmen“
Als ich den Fabian zum erstmals gelesen habe, kannte ich Berlin nicht. Einige Bauten waren mir aus den Medien vertraut, aber ich hatte keine Landkarte im Kopf. Beim Wiederlesen ist mir aufgefallen, wie sorgsam Kästner die Schauplätze auswählt. Er hat viele Touren durch die Stadt gemacht um die passenden Orte zu finden. Zudem gibt es die Vermutung, dass er einige der Etablissements, in die er die Leser führt, aus eigener Anschauung kannte. Er war ja bekanntermaßen kein Kind von Traurigkeit.
Das Wiedererkennen hat mich tiefer in die Geschichte gezogen. So steht der Roland, wie ich täglich auf meinem Weg zur Arbeit kontrollieren kann, immer noch in seiner Nische am Märkischen Museum. Nebenan ist eine Traditionskneipe, in der die geschilderte Auseinandersetzung zwischen einem Kommunisten und einem Nazi ihren Ausgangspunkt genommen haben kann. Nur die Chinesische Botschaft war wohl noch nicht da.
Manches ist gleich geblieben und hat sich doch verändert. Die bedeutenden Gebäude, die von Fabian und seinem Freund Labunde satirisch missverstanden werden, sind immer noch da. Man kann die Tour nachvollziehen, wenn man sich in der 100er Bus setzt. Die Aufregung, die die satirische Deutung hervorgerufen hat, ist aber nicht mehr nachvollziehbar, da die symbolische Aufladung glücklicherweise in den 80 Jahren seit Erscheinen geschwunden ist. Der Wedding ist immer noch speziell und an der Müllerstraße, in der Fabian ein Bett wärmt, liegt nicht ohne Grund die größte Liegenschaft des Jobcenters.
Auch wenn Berlin zur Zeit im Aufschwung und nicht im Niedergang ist, konnte ich einiges von meinem Lebensgefühl wiederentdecken. Berlin ist ein toller Platz zum Leben, wenn man fest auf den Füßen steht. Dann gibt es alles was man sucht, vieles was man nicht gesucht hat und einiges, was man lieber nicht gefunden hätte. Ein Problem hat man, wenn man den eigenen Standpunkt verliert. Berlin braucht mich und dich und eigentlich alle anderen nicht.
Einen Teil der Verzweiflung, die Fabian spürt, erlebe ich oft bei meiner Arbeit. Es sind dabei nicht nur Menschen mit geringer Qualifikation, die ein Problem haben, sondern alle die irgendwann den Anschluss verloren haben, krank wurden oder auch einfach nur Pech hatten. Sie alle erleben, dass sie nicht gebraucht werden, dass sie überflüssig sind und dass die Stadt nicht auf sie gewartet hat. Auch diesen Menschen hat Kästner ein Denkmal gesetzt. Also: „Lernt schwimmen“.
Meine Aufforderung: Wenn Du den Fabian noch nicht kennst, solltest Du ihn lesen. Wenn Du ihn kennst, lies ihn nochmal!
Erich Kästner, Sven Hanuschek (Hg.) Der Gang vor die Hunde Atrium 2013 ISBN: 978-3-85535-391-0
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